Geschichten und Gleichnisse

Die Parallele – Ein noch ungeschriebener Roman

Prolog.

Die Parallele. Sie wird in der Unendlichkeit geboren, zieht durch Raum und Zeit und endet am anderen Ende der Unendlichkeit, sie berührt sich und doch nicht, sie ist eins aus zwei, getrennt und doch ungetrennt.


Kapitel 1.

Sie standen beide unter dem Dach und sahen, wie die Wassertropfen – nach ihrem Weg durch die hölzerne Deckenverkleidung – wie in einem niemals veränderlichen, exakten Rhythmus die schwindelerregende Tiefe fielen um unten in einer riesigen Pfütze auf dem Steinboden zu zerplatzen.

Alles was in der Nähe an Gegenständen noch vorhanden war, war feucht, ein leichter grüner Schimmer verriet, dass die Natur auf dem Vormarsch war, sie schlummerte schon lange und würde sich bald zu einem Kleid aus Moos über alles legen.

Die beiden hatten es kommen sehen. In das Gebäude wurde seit 15 Jahren nichts mehr investiert. Es gab kein Geld mehr für solche Gebäude. Paul Lus’t und Timo Theus waren Arbeiter vom städtischen Bauhof, beauftragt, das Schlimmste zu vermeiden. Sie stiegen außen auf das große Dach und warfen eine wetterfeste Plane über die undichte Stelle. „Kommst Du heut Abend?“, Timo nickte nur mit dem Kopf. „Dann können wir besprechen, was wir machen.“

Es war bedrückend, Erinnerungen an frühere Zeiten kamen hoch. Mit diesem Gebäude, mit diesem Raum war ein Herzstück ihres Lebens verwoben. Sie sind in und mit ihm groß geworden. Es war so etwas wie ihr „Elternhaus“. Sie trafen sich am Abend bei Lydia zuhause in einer umgebauten Werkhalle. Platz genug für die Versammlungen. An diesem Abend waren sie nur zu siebt, manchmal waren sie bis zu vierundzwanzig. Und Eigentlich wären sie noch ein paar mehr. Aber vor 30 Jahren gab es eine Spaltung. Es tat allen heute noch weh!

Damals gab es ein Konzil. Das Ergebnis: Frauen wurde endgültig der Zugang zum Amt verwehrt. Priester mussten weiterhin zölibatär leben. Ein Riss ging quer durch die Welt, am tiefsten in Deutschland. Viele deutsche Bischöfe sagten sich von Rom los, bildeten eine neue, die sogenannte reformierte katholische Kirche. Kein Papst, kein Zölibat, geweihtes Amt für Frauen, Leitung der Gemeinden durch ehrenamtliche Laien, kein Kirchenrecht mehr, die teils riesigen Seelsorgeeinheiten wurden wieder aufgelöst und die alten Gemeinden wieder konstituiert. Diese waren – mangels immer noch zu weniger Priester, aber auch zu weniger Ehrenamtlicher – nicht lebensfähiger. Nach 13 Jahren war die reformierte katholische Kirche in sich zerstritten, Machtkämpfe und Interessenkonflikte gab es mehr denn je. Ihre Mitglieder zerstreuten sich, die einen gingen hier hin, die anderen dort hin. Die Gemeinden der reformierten katholischen Kirche zerfielen, es bildeten sich unzählige und unzähmbare Gruppierungen und Gruppen. Viele fühlten sich nicht einmal mehr an die reformierte katholische Kirche und ihre Bischöfe gebunden, man tat das, was man – oder Meinungsführer – in den Gruppen für richtig hielten.

Paul hatte schon vor und während des Konzils lange innerlich mit sich gerungen. Wohin sollte es gehen, die Vertreter beider Positionen beanspruchten für sich, mit der Wahrheit des Heiligen Geistes zu reden und zu handeln. Schließlich war Paul nach dem Konzil in der „alten Kirche“ geblieben. Aber auch der „alten“ römisch katholischen Kirche ging es nicht besser. Ihre Priester gab es nur noch in ein paar Großstätten, Pastoral- und Gemeindereferenten und -Referentinnen gab es nirgends mehr. Es war kein Geld mehr da um sie zu bezahlen. Außerhalb der Großstädte gab es im Amt nur noch Männer wie Paul, sie hatten kein kirchliches Gehalt, dafür einen zivilen Beruf, nicht nur aber auch um damit den Lebensunterhalt zu verdienten. Sie waren Diakone im Zivilberuf. Ihr Stand wurde schon beim vorletzten Konzil wieder eingeführt. Die Entscheidung, in der „alten Kirche“ zu bleiben, traf Paul letztlich aus einem Bauchgefühl heraus. Die Sachargumente der Konzilsparteien waren in sich alle irgendwie richtig. Für Paul gab es nicht die eine Wahrheit, zumindest nicht in diesen Diskussionen die letztlich immer auch politischer Natur waren.

Timo kam verspätet an diesem Abend zum Treffen bei Lydia. Er kümmerte sich nach Feierabend um die Ärmsten in der Stadt. Und da gab es immer mehr als genug zu tun. „Wir werden aus Sicherheitsgründen nicht einmal mehr Ostern in unserer Kirche feiern können!“ Mit diesen Worten eröffnete Timo das Treffen. „Das Dach ist undicht, das Risiko, dass die ganze Decke runter kommt zu hoch.“. Die Botschaft war ein weiterer Schlag gegen die Hoffnung wider die Hoffnungslosigkeit.

Am nächsten Tag gingen Timo und Paul nach Feierabend bedrückt zum Fußball. Auch einen Verein gab es nicht mehr. Der Platz wurde, wie die Kirche daneben, noch notdürftig gepflegt. Aber das Spiel war nicht tot zu kriegen, es brauchte nur einen Platz und einen Ball. Spieler fanden sich immer. Unter ihnen ein zwölfjähriger Junge, Phil, aufgeweckt, viele Fragen stellend, mit Tiefgang, auch zu einfachsten Dingen. Sein Blick ein suchender und zugleich erwartender, als ob hinter allem ein großes Geheimnis stecke. Timo und Paul mochten ihn. Vor dem Spiel vollzogen Timo und Paul immer ein merkwürdiges Ritual. Phil hatte schon oft verwundert aber schweigend zugesehen. Heute machte er den Mund auf „Warum berührt Ihr euch mit der Hand immer so komisch an Kopf, Schultern und Brust?“. „Das ist eine lange Geschichte!“, Timo schaute mit deutungsvollem Blick zu Paul. „Du willst eine Antwort?“. „Ja!“ gab Phil bestimmend zurück. „Die kriegst Du!“ erwiderte Timo, „Aber nicht heute“. Paul schaute Phil fordernd an „Wenn Du das verstehen willst, musst Du es erst selber ein paar mal tun!“. „Ich werde es dir erklären, wenn du es mindestens vor sieben Spielen gemacht hast!“. Timo wartete auf seine Reaktion. „Einverstanden!“. Phil vollzog dieses merkwürdige Zeichen und dann stürmte er los auf den Ball zu um das Spiel zu beginnen.

Die Tage wurden kürzer. Als die Versammlung begann war es schon dunkel, Herbst! Sie waren heute nicht drei, und auch nicht vierundzwanzig. Sie waren heute einer mehr. Phil war stolz! Er war zum ersten Mal zu einem dieser merkwürdigen Treffen eingeladen. Er spürte, dass noch viele weitere Fragen von ihm zu stellen währen! Er strahlte. Auch Paul Lus’t und Timo Theus strahlten, der Schmerz über die verfallende Kirche tat nicht mehr ganz so weh. Paul legte sein Gewand an und wickelte seine Stola quer über die Schulter. 8 Jahre ist es jetzt schon her, seit dem er geweiht wurde. Die Kirche hatte sich verändert, alles war anders gekommen als viele gehofft hatten, aber sie war wie der Fußball nicht tot zu kriegen, es ging weiter! Heute war der Tag, an dem Phil die Taufe erhalten sollte!

Anmerkung: Diese Kurzgeschichte wurde auch in gekürzter Form im „Guckloch 2016“ der Seelsorgeeinheit Oberes Murrtal veröffentlicht.

Herbstlaub

Es fallen die Blätter, die bunten, vom Wind gelöst zur Erde nieder.

Mit dem Besen vereine ich sie, zu einem großen Haufen. Leuchtend liegt er da, Frucht des Sommers, Ernte des Herbstes und Zeuge meiner Arbeit.

Fährt der Wind, der sie gelöst noch einmal drüber, und löst sie wieder.

Löst den Zeugenberg meiner Mühen auf, zerstäubt ihn in alle Winden Richtungen.

Doch ich, der bemüht ist, der Welt Ordnung zu geben, ergreife erneut den Besen.

Sammle wieder was gelöst, häufe wieder was Zeugnis geben wird von meiner Arbeit.

Doch welch Schöpfers Chaoskräfte walten in einem fort!

Wieder, immer wieder fahren sie über meines Laubes Hort, tragen jedes Blatt immer wieder an einen andren Ort!

Was soll ich tun?

Das Laub schon vor dem Herbst vom Baume reißen? Den Wind mit unbekannten Kräften binden?

Dem Besen in der Rechten, einen Besen in der Linken zur Seite stellen?

Das Laub mit Steinen beschweren oder mit Leimen hindern?

So ziehe ich betrübt von dannen, lass stehen alle Besen. Wie ich so laufe fort, sehe ich an einem schatt‘gen Ort, wie der Wind von ganz allein, sammelt alles Laub nun ein.

Hängen bleibt‘s wie von Geisterhand an einer großen Steinenwand.

Was bin ich? Was andres als ich denk? Was Richtiges am falschen Ort? Was Falsches am richtigen Ort? Zu klein, zu langsam, zu dumm?

Nichts von alle dem! Macht ich nur die Augen auf, und sehe nicht mein, sondern der Dinge Lauf. Nehm an, was gegeben ist, und kämpf nicht weiter an, gegen Winde die nicht zu bänd‘gen sind.

Und wie ich so sitze und sehe, die Dinge so langsam verstehe, erkenne ich mit einem Stechen im Herzen und doch voll Erleichterung:

Dies Geschehen steckt nicht nur im Laub. Überall begegnet‘s mir – der Wind, es ist das Leben, das lebendiger ist, als ich es mir erlaub.